Blog 19: Kann man Unternehmertum lernen, oder hat man es in der DNA?

Hat man Unter­neh­mertum im Blut oder sind es spezi­fische Eigen­schaften und Fähig­keiten, die man erlernen kann, um als Unter­neh­merin oder als Unter­nehmer Erfolg zu haben? Wir werfen einen Blick in Forschung und Praxis und sagen: am Ende geht’s um die Haltung, um Coolness, Herzblut, den offenen Blick für Neues und den Gestaltungswillen.

Führungs­nach­folge ist anspruchsvoll. Davon handelt unsere jüngst publi­zierte Schrift und darüber haben wir auch bereits in verschie­denen Videos gesprochen. Eine Grund­vor­aus­setzung für Führungs­nach­folge ist natürlich, dass es eine Person gibt oder mehrere, welche die Führungs­nach­folge antreten wollen. Dass also Persön­lich­keiten da sind, die als Unter­nehmer oder Unter­neh­me­rinnen eine Firma führen und die Zukunft des KMU gestalten wollen — und dazu fähig sind.

Wer sucht, der findet zahlreiche Aus- und Weiter­bil­dungen, mit denen man sich Wissen aneignen kann, rund um Unter­neh­mertum und Geschäfts­führung. Braucht es das? Braucht es nur das? Oder braucht es (auch) ein sogenanntes «Unter­nehmer-Gen»? Und falls es dieses Gen geben sollte — wie komme ich dazu? Und was ist damit überhaupt gemeint? Welche Persön­lich­keits­merkmale sind für Unternehmer:innen wichtig? Was glauben Sie? 

Gehen wir diesen Fragen mal nach und schauen wir, was die Forschung uns lehrt und die Praxis uns zeigt.

Die Unternehmer-Persönlichkeit in der Forschung

Welche Verhal­tens­weisen machen eine Unter­neh­merin oder einen Unter­nehmer aus? Welche Persön­lich­keits­merkmale braucht jemand, der oder die ein Unter­nehmen führen möchte? Solche Fragen sind Gegen­stand einer langen Forschungstradition.

Ein anerkanntes Standard­modell in der Persön­lich­keits­for­schung sind die “Big Five”. Es handelt sich dabei um ein Fünf-Faktoren-Modell, das besagt, dass fünf Haupt­di­men­sionen der Persön­lichkeit existieren. Gemäss dem Modell lässt sich die Persön­lichkeit jedes Menschen auf folgender Skala einordnen: 

  • Offenheit für Erfahrungen,
  • Gewis­sen­haf­tigkeit,
  • Extra­version,
  • Verträg­lichkeit (Rücksicht­nahme, Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft, Empathie)
  • und Neuro­ti­zismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit). 

Mit Hilfe von Tests, wird bei einem Menschen ermittelt, welcher Faktor wie stark ausge­prägt ist. Daraus resul­tiert dann ein Persön­lich­keits­profil. Im Idealfall lernt man sich, seine Stärken und Poten­ziale besser kennen und gewinnt Erkennt­nisse zum eigenen Verhalten in verschie­denen Situationen.

Führung beginnt bei der eigenen Person. Deshalb ist Selbst­er­kenntnis ein Schlüssel für gute Führung. 

Claudia Buchmann, Nachfol­ge­ex­pertin St. Galler Nachfolge

Nebst dem Big Five-Modell gibt es auch Tests, die einen stärkeren Bezug haben zur Berufswelt. So zum Beispiel das Bochumer Inventar zur berufs­be­zo­genen Persön­lich­keits­be­schreibung (BIP). Das BIP ist ein psycho­lo­gi­sches Testver­fahren, das berufs­re­le­vante Persön­lich­keits­merkmale syste­ma­tisch erfasst. Der Test macht u.a. Aussagen zu folgenden Dimensionen:

  • Gestal­tungs­mo­ti­vation,
  • Führungs­mo­ti­vation,
  • Handlungs­ori­en­tierung,
  • Durch­set­zungs­stärke,
  • Belast­barkeit
  • und Selbst­be­wusstsein.

Der Haupt­nutzen beider Arten von Tests: sie unter­stützen den Prozess der Selbst­er­kenntnis. Je besser sich jemand selber kennt, sein Verhalten und seine Stärken versteht, desto fundierter ist die Grundlage für wichtige Entscheide. Im Kontext der Führungs­nach­folge können das z.B. Entscheide sein, in welchem Bereich sich jemand noch weiter­bilden möchte (oder sollte) oder ob das Führungsteam noch durch eine weitere Person ergänzt werden sollte.

Zur Frage, ob es ein sogenanntes «Unter­nehmer-Gen» gibt, im Sinne von einer definierten Persön­lich­keits­struktur, welche die Voraus­setzung ist für unter­neh­me­ri­schen Erfolg, dazu liefert die Forschung keine eindeu­tigen Hinweise.

Das Feld der Unternehmer:innen ist divers

Dass in der Forschung bis heute keine bestimmte Persön­lich­keits­struktur festge­stellt wurde, die garan­tiert, eine erfolg­reiche Unter­neh­merin oder ein erfolg­reicher Unter­nehmer zu sein, erstaunt nicht. Und deckt sich mit meiner Erfahrung in der Praxis. Ich kenne viele Unter­nehmer und Unter­neh­me­rinnen. Es sind sehr unter­schied­liche Menschen und Persön­lich­keiten, die sich in vielfäl­tigen Branchen und Unter­neh­mens­grössen bewegen.

Die einen sind extra­ver­tiert und damit gleich die besten Verkäufer ihrer Produkte, die anderen eher zurück­haltend. Beide sind erfolg­reich. Die einen sind sehr handlungs­ori­en­tiert, agieren immer im vordersten Fünftel, andere überlegen sich ihre nächsten Handlungen lieber ein zweites Mal und sind mit dieser Heran­ge­hens­weise schon viele Male gut gefahren.

Die einen sind inspi­rie­rende Leader-Persön­lich­keiten, andere führen ihr Team über ihr Exper­ten­wissen. Dieselbe Beobachtung mache ich auch bei der jungen Generation, die in die Fussstapfen ihrer Väter und Mütter treten will: Die Diver­sität, wie sie Aufgaben anpacken, wie sie sich verhalten und wie sie mit anderen Menschen umgehen, ist gross.

…und ihre Herausforderungen ebenfalls

Die Markt­ent­wick­lungen, Liefer­ketten, der momentane Stand im Unter­neh­mens­zyklus, in dem sich das eigene KMU befindet, die Kunden­be­dürf­nisse, interne Prozesse oder die Perso­nal­si­tuation – dies alles sind äussere und innere Faktoren, welche Unter­neh­me­rinnen und Unter­nehmer täglich beschäftigen.

Diese vielschich­tigen unter­neh­me­ri­schen Heraus­for­de­rungen, ob von aussen oder innen getrieben, ob auf opera­tiver oder strate­gi­scher Ebene angesiedelt, verlangen passende und damit hoch indivi­duelle unter­neh­me­rische (Re-)Aktionen. 

Den goldenen Pfad, den es zu gehen gilt, den gibt es nicht. Ebenso wenig, wie die eine goldene Regel, wie ein Unter­nehmer oder eine Unter­neh­merin zu sein hat. Eigen­schaften, die einem bei unter­neh­me­ri­schen Heraus­for­de­rungen zugute kommen, die kann man aller­dings schon benennen, dazu später mehr.

Prägung Familienunternehmen

Was ist denn aber nun mit den Kindern, die in ein Famili­en­un­ter­nehmen hinein­ge­boren werden und umgeben von Unter­neh­mertum aufwachsen? Sind das automa­tisch die geborenen Unter­neh­me­rinnen und Unternehmer? 

In diesem Kontext relevant ist das Bewusstsein, dass sich in Famili­en­un­ter­nehmen zwei Sozial­sy­steme vermi­schen: das der Familie und das des Unter­nehmens. Und dieser Umstand hat natürlich einen Impact auf die Prägung der Kinder, muss aber nicht zwingend dazu führen, dass die junge Generation in die Unter­nehmer-Fussstapfen treten.

Abb. 1: Familie und Unter­nehmen als zwei Systeme, die sich vermi­schen (LeMar, 2014)

Wenn beispiels­weise beim Abend­essen über die Firma gesprochen wird, dann bekommt das Unter­nehmen auch in der Familie eine gewisse Präsenz. Dasselbe geschieht, wenn Jugend­liche im Famili­en­un­ter­nehmen während ihrer Schul­ferien arbeiten und sich so einen Zustupf zu ihrem Taschengeld verdienen. 

Wird diese Verbindung Familie-Unter­nehmen als positiv erlebt, so kann auch für die junge Generation eine starke Bindung zum Famili­en­un­ter­nehmen entstehen und damit mögli­cher­weise der Wunsch, einst in die Fussstapfen der Mutter oder des Vaters zu treten. 

Man wird nicht als Unternehmer:in geboren, doch die Familie kann einen wichtigen Beitrag leisten, dass die junge Generation einen positiven Bezug entwickelt zum Unternehmer:innen-Sein.

Claudia Buchmann, Nachfol­ge­ex­pertin St. Galler Nachfolge

Doch selbst wenn die Verbindung Familie-Unter­nehmen als positiv erlebt wird (was nicht immer der Fall ist), muss das nicht automa­tisch bedeuten, dass die Nachkommen den Wunsch entwickeln, später einmal im Famili­en­un­ter­nehmen Verant­wortung zu übernehmen. In einer (Arbeits-)Welt wie heute, die einem unzählige Möglich­keiten eröffnet, ist dies eine Option unter vielen. 

Aktuelle Zahlen zeigen, dass junge Menschen vermehrt andere Wege einschlagen, als ins elter­liche Unter­nehmen einzu­steigen. Die Bedeutung der famili­en­in­ternen Nachfolgen hat abgenommen. Heute liegt der Anteil der famili­en­intern getrof­fenen Nachfol­ge­lö­sungen bei 40 Prozent. Vor 15 Jahren wurden noch 6 von 10 Firmen famili­en­intern übergeben.

Kann man Unternehmertum lernen?

Ohne Fachwissen führt man kein Unter­nehmen erfolg­reich. Aber auch hier ist es indivi­duell, was es braucht. Auch als Quereinsteiger:in kann ich ein KMU erfolg­reich führen, sofern die Konstel­lation rund herum stimmt. Genauso wie ich mich als Fach- und Handwerks­experte im Bereich Führung, Betriebs­wirt­schaft, Finanz­wesen oder Marketing weiter­bilden kann, sodass ich auf diesen Gebieten kompetent werde und in der Lage bin, Entscheide zu fällen, allen­falls mit der entspre­chenden Fachperson an meiner Seite. 

Minde­stens ebenso wichtig, wie Fachwissen, das man sich aneignen kann, scheint mir: Die Erfahrung, der offene Blick für Neues und der Wille, von anderen zu lernen. Diese Haltung ist meines Erachtens eine elementare Grund­vor­aus­setzung und ergänzt das fachliche und überfach­liche Wissen und Können – Tag für Tag. 

Ich weiss noch, als ich angefangen hatte: Ich habe so viel noch nicht gewusst. Und ich habe mir gesagt: Jeden Tag lerne ich dazu.» 

Unter­nehmer

Wenn ich mit heutigen und künftigen Unternehmer:innen zusam­men­ar­beite, fällt mir immer wieder auf, wie hoch ihr Gestal­tungs­wille ist, dass sie Zutrauen zu sich und anderen besitzen und dass sie an ihren Erfolg glauben. 

Dazu gehört auch eine gewisse Coolness oder Unerschüt­ter­lichkeit, sich von Widrig­keiten nicht vom Kurs abbringen zu lassen und gleich­zeitig flexibel auf sich verän­dernde Umstände zu reagieren. Bei Unter­neh­me­rinnen und Unter­nehmern spüre ich immer wieder dieses grosse Herzblut und das innere Feuer, das sich in Wortwahl und Gesichts­aus­druck und in den unter­neh­me­ri­schen Taten zeigt. Das wirkt ansteckend. Genauso wie die Dankbarkeit, die viele Unter­nehmer verspüren und zeigen. Denn: Vieles ist selbst beein­flussbar; gleich­zeitig braucht es auch ein Quäntchen Glück.

Was ich in der Praxis erlebe, zeigt mir, dass ein paar allge­meine Persön­lich­keits­ei­gen­schaften oder fachliche Expertise nicht ausreichen, um dieser hoch indivi­du­ellen unter­neh­me­ri­schen Komple­xität tagtäglich erfolg­reich zu begegnen. Ein sogenanntes “Unter­nehmer-Gen” gibt es meines Erachtens nicht. Aber sehr wohl eine unter­neh­me­rische Grund­haltung, die Dinge anzupacken und durchs Leben zu gehen.

Mehr zur Führungsnachfolge

Für alle, die sich vertieft mit der Führungs­nach­folge ausein­an­der­setzen möchten, haben wir spannende Unter­lagen aufbe­reitet und Videos produziert:

Im Download-Center finden Sie zudem unter dem Schlagwort “Gover­nance” ergän­zende Arbeitsblätter.

Fotonachweis: Shutter­stock | Abbil­dungen: © LeMar, Bernd

Litera­tur­hinweis: LeMar, Bernd (2014): Genera­tions- und Führungs­wechsel im Famili­en­un­ter­nehmen. 2. Auflage. Springer Gabler: Berlin, Heidelberg.

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Claudia Buchmann

Menschen und Unternehmen im Rahmen von Nachfolgeprozessen in ihrer (Weiter-) Entwicklung zu begleiten, das ist die grosse Passion von Claudia Buchmann. Als langjährige Unternehmerin weiss sie, was unternehmerisches Denken und Handeln in Veränderungsprozessen bedeutet: ein grosses Stück Arbeit und ein freudiges Feiern von Erfolgen.