Blog 24: Gerechtigkeit als Schlüssel für erfolgreiche Nachfolgelösungen

Eine Nachfol­ge­lösung, die von allen Invol­vierten als fair empfunden wird, hat signi­fikant höhere Chancen, Bestand zu haben — und die invol­vierten Personen den Prozess mit einem guten Gefühl abschliessen zu lassen. Als fair empfundene Bedin­gungen und Gerech­tigkeit sind somit ein Schlüssel für erfolg­reiche Nachfol­ge­lö­sungen. Was aber ist “gerecht”? Und was können Invol­vierte und Nachfol­ge­ex­perten dazu beitragen, dass eine Nachfolge als gerecht empfunden wird? Ein Patent­rezept gibt es nicht, wie so oft. Eckpunkte, die beachtet werden können, aber schon.

Wann hatten Sie sich das letzte Mal ungerecht behandelt gefühlt? Und wie fühlte sich das genau an? Dieses Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, fühlt sich unangenehm an — wohl für die meisten. Gleich­zeitig ist es eine sehr persön­liche und subjektive Empfindung, die jemand in einer bestimmten Situation hat. Für andere kann sich dieselbe Situation komplett anders anfühlen. 

Das Empfinden von Ungerech­tigkeit ist relativ. Im Umkehr­schluss heisst das: Auch Gerech­tigkeit ist ein subjek­tives Empfinden und relativ.

Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin

Auch — oder vielleicht treffender formu­liert: aufgrund seiner Komple­xität und der vielen Emotionen gerade in einem Nachfol­ge­prozess gibt es immer wieder Situa­tionen, in denen sich die eine oder andere Person ungerecht behandelt fühlen könnte. Passiert das, so kommt es zu einer “Störung” in der Zusam­men­arbeit und damit auch im Prozess. Die Gefahr besteht, dass daraus ein Konflikt entsteht. Damit dies nicht geschieht, empfehlen wir gemäss dem Leitsatz “Störungen haben Vorrang” das subjektive Empfinden zeitnah zu thematisieren. 

Noch wirksamer wäre (damit es gar nicht erst soweit kommt), das Thema Gerech­tigkeit im Nachfol­ge­prozess gleich von Beginn weg offen zu besprechen und als “Begleit­thema” im Prozess mitzunehmen.

Die Aspekte von Gerechtigkeit bei der Nachfolge

Im Rahmen der Unter­neh­mens­nach­folge gilt es nicht nur die Frage der Führungs­nach­folge (“Wer leitet zukünftig das Unter­nehmen?”), sondern auch die Frage der Eigen­tums­nach­folge (“Wer hat welchen Anteil am Eigentum des Unter­nehmens?”) und, insbe­sondere bei einer famili­en­in­ternen Nachfolge, die Frage der Vermö­gens­nach­folge (“Wie wird das Famili­en­ver­mögen auf die Nachkommen verteilt?”) zu beant­worten — im Idealfall so, dass alle invol­vierten Personen die erarbeitete Lösung als gerecht empfinden. 

Was heisst nun aber “gerecht”? Das Thema Gerech­tigkeit lässt sich unter­teilen in:

  • Vertei­lungs­ge­rech­tigkeit
  • Prozess­ge­rech­tigkeit

Verteilungsgerechtigkeit kann unterschiedlich interpretiert werden

Wer sich dieser beiden Aspekte bewusst ist, kann während einem Nachfol­ge­prozess einen wichtigen Beitrag leisten für eine gerechte und gerecht empfundene Nachfolgelösung.

Die Vertei­lungs­ge­rech­tigkeit umfasst drei unter­schied­liche Prinzipien: das Gleichheits‑, Leistungs- und Bedürfnisprinzip. 

Abb. 1: Gerech­tigkeit und Fairness in der Nachfolge (2019)

Der Grundsatz der Gleichheit würde beim Verteilen eines Kuchens bedeuten, dass alle Anwesenden ein gleich grosses Stück vom Kuchen erhalten. Würde der Kuchen nach dem Leistungs­prinzip aufge­teilt, so könnte derje­nigen Person, die ihn gebacken hat, ein grösseres Stück zugesprochen werden als den anderen, die nichts zum Kuchen beigetragen haben. Würde man den Kuchen hingegen nach dem Bedürf­nis­prinzip aufteilen, dann bekäme diejenige Person das grösste Kuchen­stück, die momentan am meisten Hunger hat. 

Im Rahmen der Unter­neh­mens­nach­folge gibt es kein Patent­rezept oder eine Art Formel, wie mit der Vertei­lungs­ge­rech­tigkeit umgegangen werden kann. Denn in jeder Familie herrscht eine andere Erfahrung und Kultur mit dem Thema (Verteil-)Gerechtigkeit vor, wirken andere Werte hinein und sind bei der Nachfolge andere Zielvor­stel­lungen zu beachten. Darum müssen die Fragen “jedem das Gleiche” (Gleich­heits­prinzip), “jedem nach seinen Beiträgen bzw. seiner Leistung” (Leistungs­prinzip) oder “jedem nach seinen Bedürf­nissen” (Bedürf­nis­prinzip) aktiv disku­tiert und trans­parent geklärt werden, welche Erwar­tungs­hal­tungen da sind und wer welches Verständnis hat.

Prozessgerechtigkeit schafft fair empfundene Bedingungen

Neben der Vertei­lungs­ge­rech­tigkeit gibt es auch eine sogenannte Prozess­ge­rech­tigkeit. Bei der Prozess­ge­rech­tigkeit geht es nicht um das Endergebnis wie bei der Vertei­lungs­ge­rech­tigkeit (im Beispiel vorher war dies das Kuchen­stück), sondern es geht um den Weg hin zur Lösung und es geht um die Mecha­nismen, die zur Lösung führen. Ziel ist ein als gerecht empfun­dener Prozess und Bedin­gungen, die von den Invol­vierten als fair empfunden werden. Dieses subjektive Empfinden von Gerech­tigkeit ist eine wichtige Voraus­setzung dafür, dass die erarbeitete Nachfol­ge­lösung von allen mitge­tragen wird und sie somit nachhaltig ist.

Der Weg ist das Ziel. Es geht darum, Mitge­stalten zu ermög­lichen. Wenn die invol­vierten Personen merken, dass sie mitwirken, sich einbringen und beein­flussen können, wird ein Prozess eher als gerecht empfunden.

Patrick Landolfo, Berater Veränderungsprozesse

Es zeigt sich nicht nur in der Forschung, sondern vor allem auch in der Praxis, dass diese als fair empfun­denen Bedin­gungen eine hohe und positive Wirkung in einem Nachfol­ge­prozess entfalten: Gegen­sei­tiges Vertrauen wird gefördert, die Betei­ligten koope­rieren mitein­ander, unter­schied­liche Sicht­weisen stossen eher auf Akzeptanz und die getroffene Lösung wird besser mitgetragen.

Wie schaffe ich es, dass ein Prozess als gerecht empfunden wird?

Dass ein Nachfol­ge­prozess als gerecht empfunden wird, ist stark abhängig von der Haltung und Heran­ge­hens­weise der Berate­rinnen und Berater, welche die Nachfolge begleiten. Berater:innen, welche bei der Prozess­be­gleitung und ‑gestaltung folgende Merkmale berück­sich­tigen, begün­stigen einen Prozess, der als fair empfunden wird:

  • Allpar­tei­lichkeit
  • Trans­parenz
  • Gestaltung ermög­lichen

Allpar­tei­lichkeit – Eine Beraterin, die mit einer allpar­tei­lichen Haltung an den Nachfol­ge­prozess herangeht, bindet alle Personen in den Prozess ein, welche in irgend­einer Form, direkt oder indirekt, vom Prozess tangiert sind und deshalb zu Wort kommen sollten. Wenn wir als Beispiel ein Famili­en­un­ter­nehmen nehmen, sollten also nicht nur dieje­nigen Famili­en­mit­glieder in den Prozess invol­viert sein, die im Unter­nehmen arbeiten, sondern auch dieje­nigen, die ausserhalb des Famili­en­un­ter­nehmens einer Tätigkeit nachgehen — dazu gehören auch Ehepartner und Ehepart­ne­rinnen, die angehei­ratet sind. Alle am Prozess Betei­ligten werden angeregt, ihre Inter­essen und Sicht­weise offen zu äussern. Dies geschieht aus der Haltung heraus, dass alle Betei­ligten gleich­wertig sind und ihre Beiträge nicht gewertet werden. Damit werden Bedürf­nisse explizit gemacht und das gegen­seitige Verstehen gefördert.

Trans­parenz – Wenn gemeinsam ein Weg vereinbart wird, wie der Nachfol­ge­prozess gestaltet werden soll, ist es wichtig, trans­parent zu sein und Trans­parenz zu schaffen — und das immer wieder aufs Neue. Werden auf dem verein­barten Weg immer wieder explizite Zwischen­halte eingelegt, dann ist für alle klar, wo sie sich befinden. Auch Sitzungs­pro­to­kolle, versandt an alle Anwesenden, schaffen Trans­parenz, weil sie das Wichtigste zusam­men­fassen und allen Betei­ligten die Möglichkeit geben, die geführte Diskussion, die getrof­fenen Verein­ba­rungen und Entschei­dungen nachzu­lesen. Diese Trans­parenz sicher­zu­stellen ist eine wichtige Aufgabe einer Prozess­be­glei­terin oder eines Prozess­be­gleiters. Trans­parenz schafft Nachvoll­zieh­barkeit und damit auch Vertrauen.

Gestaltung ermög­lichen – Im gemein­samen Dialog entstehen Möglich­keiten und Szenarien und es zeigen sich Vor- und Nachteile. Zudem können indivi­duelle Bedürf­nisse formu­liert und vor allem auch disku­tiert werden, inwiefern diese berück­sichtigt und umgesetzt werden können, so dass es im Sinne des Unter­nehmens und eines erfolg­reichen Nachfol­ge­pro­zesses ist. In diesem Zusam­menhang sind auch Instru­mente dienlich, die den Dialog auf einer werte­ori­en­tierten Ebene führen. In unserer Beratungs­tä­tigkeit machen wir die Erfahrung, dass ein gemeinsam erarbei­tetes und verab­schie­detes Nachfol­ge­leitbild sehr wirkungsvoll ist, um einen Rahmen zu schaffen, in dem sich eine Familie im Nachfol­ge­prozess bewegen will. Es hält fest, was für den Prozess wichtig ist: als Familie, fürs Unter­nehmen, im Rahmen des Nachfol­ge­pro­zesses und hinsichtlich der Nachfolgelösung.

Gerecht empfundene Lösungen — so unsere Erfahrung — wirken nachhaltig.

Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin

Wenn sich alle Betei­ligten bei der Gestaltung des Nachfol­ge­pro­zesses einbringen können, sich mit ihren indivi­du­ellen Sicht­weisen gehört fühlen und der Prozess trans­parent geführt wird, dann wird Prozess­ge­rech­tigkeit gelebt. Und damit ist ein wichtiger Beitrag geleistet, dass der Prozess an sich und die erarbei­teten Lösungen als gerecht empfunden werden. Und gerecht empfundene Lösungen – so unsere Erfahrung – wirken nachhaltig. Zum Wohl der Betei­ligten wie auch des Unternehmens. 

Mehr zum Thema “Prozessgerechtigkeit”

Für alle, die sich vertieft damit ausein­an­der­setzen möchten, wie ein Nachfol­ge­prozess gerecht gestaltet werden kann, empfehlen wir folgende Inhalte:

Im Download-Center finden Sie zudem unter dem Schlagwort “Trans­ak­ti­ons­kosten” ergän­zende Arbeitsblätter.

Weiter­füh­rende Fach-Literatur zum Thema:

  • Halter, Frank (2019): KMU Nachfolge-Beratung. 3. Auflage. St. Galler Nachfolge Praxis: Rapperswil-Jona.
  • Wolf, Tobias; Kissling Streuli, Sonja; Halter, Frank (2019): Gerech­tigkeit und Fairness in der Nachfolge. 2. Auflage. St. Galler Nachfolge Praxis: Rapperswil-Jona.

Fotonachweis: Shutter­stock | Abbil­dungen: © St. Galler Nachfolge und siehe Literatur

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Claudia Buchmann

Menschen und Unternehmen im Rahmen von Nachfolgeprozessen in ihrer (Weiter-) Entwicklung zu begleiten, das ist die grosse Passion von Claudia Buchmann. Als langjährige Unternehmerin weiss sie, was unternehmerisches Denken und Handeln in Veränderungsprozessen bedeutet: ein grosses Stück Arbeit und ein freudiges Feiern von Erfolgen.